Betrachtungen zum Tod
In der Nähe des Klosters des historischen Buddhas lebte
einst eine arme Frau mit dem Namen ‚Kisa‘, sie war hübsch und immer
fröhlich, die Menschen mochten sie. Trotz ihrer niederen Herkunft
verliebte sich der Sohn des örtlichen Kaufmanns in sie, die Eltern
wurden durch die Liebe der Beiden schließlich überzeugt, die Heirat
vereinbart, die Feierlichkeiten waren üppig, die Ehe sehr glücklich.
Ein gesunder Junge kam zur Welt, das Leben der ‚Kisa‘ war
nun vollkommen, sie war vermögend, nach wie vor gutaussehend, die
Eheleute liebten sich, ihr Dasein von Fortuna und den Göttern
begünstigt.
So schien es!
Denn eines Tages kam das Unglück in ihr Haus, ihr Sohn
wollte am Morgen einfach nicht mehr aufwachen, er war tot, in der Nacht
gestorben, ohne Vorzeichen, ohne Erkrankung, er rührte sich nicht mehr.
Kisa war von Blitz getroffen, kannte sie doch nur Glück,
Zufriedenheit und Freude, eine Kümmernis oder Pein war ihr unbekannt,
ihr Leben war doch so schön, sie wollte sich mit der Katastrophe nicht
abfinden, sicher schlief ihr Sohn nur, würde gleich erwachen.
Die Verwandten kamen um zu unterstützen, zu helfen und zu
trauern, doch die Kisa wollte ihr Schicksal nicht einsehen, sie war sich
sicher dass ihr Sohn wieder aufwacht, ‚er schläft doch nur‘ rief sie.
Sie nahm das tote Kind und lief umher, fragte überall nach
einem Heilmittel, in jedem Haus sagte man ihr dass das Kind tot und sie
verrückt sei, sie ließ sich nicht beirren. Eine alte Frau riet ihr in
das Kloster des Buddha zu gehen, der weiße und erleuchtete Lehrer wüßte
sicher Rat.
Sie kam im Kloster an und fand den Buddha, legte ihm das
Kind zu Füßen und flehte um Hilfe, ob er eine Medizin kennt die ihren
Sohn ’zurückbringen’ könne fragte sie. Der Buddha sagte ‚ja‘, er könne
ihr helfen, er kenne die Medizin die ihren Sohn ‚heilen‘ könne.
Kisa
fragte ob er ihr das Heilmittel geben, ihr Beistand leisten werde. Der
Buddha sagte: ‚Du musst mir erst Senfsamen geben, eine Handvoll‘.
Sie fragte ob das denn alles sein, nur Senfsamen? ‚Ja‘,
sagte der Buddha, nur Senfsamen, ‚weiße Senfsamen, eine Hand voller
Samen‘. ‚Aber‘, so der Buddha, ‚die Senfsamen müssen aus einem Haus
kommen in dem noch nie Niemand gestorben ist‘.
Die Frau zog los, den Sohn noch immer im Arm, von Haus zu
Haus, überall wollte man ihr helfen, fast alle Bewohner hatten
Senfsamen, aber in jedem Haus war bereits ein Familienmitglied
verstorben, der Vater, die Mutter, die Großeltern. Über viele Jahre und
Generationen wurden damals Häuser bewohnt, Kinder wurden geboren,
wuchsen auf, wurden alt und starben im selben Haus, in ihrer Hütte, der
Lauf der Dinge.
Am Abend war Kisa total erschöpft, sie konnte die Samen
nicht finden, überall bekam sie dieselbe Auskunft, gerne, wir geben dir
Samen, aber hier ist bereits Jemand verstorben. Sie fing an
nachzudenken, es fiel ihr auf dass gar viele Menschen schon verstorben
sein mussten, über die Jahre, über die Generationen, unendlich viele
Tote zu beklagen waren, unzählige Kinder geboren wurden, der Tod eine
feste Größe in jedem Haus war, nicht nur sie ein Kind verloren, andere
Mitmenschen ähnliche Schicksalsschläge zu verarbeiten hatten.
So ging sie zurück zu dem Tempel des Buddhas, der sie mit
der Frage empfing ob sie denn die Samen mitgebracht hätte. Sie
antwortete dem erhabenen Lehrer: ’Nein, Du Erleuchteter, Senfsamen fand
ich viele, aber kein Haus in dem noch keiner verstorben war, so dass die
Aufgabe nicht lösbar ist, denn es gab viel mehr Tote als es Lebende
gibt’.
Des Buddha Worte waren nun: ‚Dachtest Du nur dein Kind
wäre gestorben? Der Tod ist Gast in jedem Haus, also warum sollte er
nicht zu Dir kommen? Er wird alles und jeden auslöschen, früher oder
später werden ein jedes Wesen und alle Dinge zu Staub zerfallen‘. Da
dämmerte der Kisa warum der Buddha ihr diese Aufgabe gestellt hatte, sie
Senfsamen aus einem gar besonderen Haus beschaffen sollte.
Und weiter sagte der Buddha: ‚Jedes haften an weltliche
Begebenheiten führt zu Leid, nichts gehört uns, wir besitzen weder
Menschen, noch Tiere, noch Dinge, alles ist vergänglich, der Tod kommt
unumstösslich zu Jedem, auch wenn der Mensch immer glaubt dass er ‚etwas
besonderes‘ sei, ihm das nicht passieren kann, er ausgenommen sei von
den universellen Gesetzen der Welt‘.
Die Aussagen des Erleuchteten ließen die Kisa auf der
Stelle ebenfalls erwachen, sie wurde am selben Tag zur Nonne und fand
Aufnahme in der Gemeinschaft des Buddhas. Ihre Begebenheit mit dem
heiligen Mann vergaß sie nie, immer kreisten ihre Gedanken um den Lauf
des Lebens, über Geburt, Tod, und die Vergänglichkeit aller Menschen,
Tier und Begebenheiten. Selbst die Begrenztheit und Flüchtigkeit der
Welt, unseres Planeten, beschäftigte sie.
Als sie eines Abends in der großen Halle des Tempels war
und die vielen Lampen betrachtete die die Räume erleuchteten, kam ihr
der alles entscheidende Gedanke über das Nirvana. Die Menschen sind wie
die Lichter, sie flackern auf, manche sind erloschen, manche werden
wieder aufgefüllt, andere sind für immer aufgebraucht. Sie brennen aus,
kurz und hell leuchtend, um dann wieder angezündet zu werden wenn Öl
hinzugefügt wird.
Nur die Menschen die kein Begehren mehr haben brennen
nicht mehr, haben den Kreislauf verlassen, sind im Nirvana und damit
wirklich frei.
Und Sie, geschätzter Leser, begehren Sie noch?
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